Tagebuch eines Abschieds

6. Oktober 2021

Vor gut einem Jahr eröffnete ich meinen Online-Shop Lovely British Somethings. Warum? Weil ich mein Leben in Nordengland, das ich 2013 aufgegeben hatte, ganz fürchterlich vermisste und wieder näher „dran sein“ wollte. „Dran“ am Britischen Lifestyle; „dran“ an den Menschen, in deren Mitte ich mich sieben Jahre lang so wohl gefühlt hatte; „dran“ an der mystischen Landschaft, den urigen Traditionen, der Pub-Wohlfühlatmosphäre, den mit Blumen übersäten Dörfern, der britischen Musik, und, und, und…

Fast ein Jahr lang bereitete ich die Shop-Eröffnung vor. Ich suchte und kontaktierte Künstlerinnen und Kunsthandwerker, Kreative und Schaffende, und stellte ein kleines aber feines Einstiegssortiment zusammen. Gleichzeitig studierte ich die Shopsysteme, und verzweifelte kurzzeitig an der Qual der Wahl. Ich trat Facebookgruppen und Internetforen bei, erhielt wertvolle Ratschläge und versuchte meine eigenen Erfahrungen weiterzugeben. Bald stellte ich fest, dass es dort draußen – neben den ewigen Meckerheinis und Nörglern – eine ganze Menge netter Menschen gibt, die versuchen ihren eigenen Weg zu gehen, die kämpfen, stolpern und aufstehen, sich gegenseitig unterstützen und gelegentlich ihre Laufrichtung an ihre neuen Erkenntnisse und Ziele anpassen.

Während mich der Aufbau meines Business Hunderte von schlaflosen Stunden gekostet hat, hat er auch wahnsinnig Spaß gemacht. Der Austausch mit anderen Gründerinnen, den Künstlerinnen, Produzenten und Geschäftstreibenden war inspirierend und die Beschäftigung mit neuen Themen wie Social Media Marketing, Shopsystemen und Produkteinkauf aber auch Buchhaltung und Steuerangelegenheiten hat meinen Horizont sehr erweitert. Ich habe gemerkt, was mir liegt und was mir nicht so liegt und habe viele verschiedene Strategien ausprobiert. Eine Zeitlang habe ich gedacht, ich müsste nun jeden Tag bescheuerte Fragen auf Instagram stellen. „Trinkst du auch so gerne aus Kuhtassen wie ich? Schreib mir doch mal in die Kommentare, woraus du am liebsten trinkst…“. Oder: „Bienen sind wirklich nützliche Tiere. Findest du auch, dass wir auf unsere Umwelt aufpassen sollten?“ Oder: „Wenn meine neue Brille dreckig ist, kann ich nicht gut sehen. Findest du es auch ärgerlich, wenn deine Brille dreckig ist? Womit putzt du deine Brille denn am liebsten? Schreib doch mal in den Kommentar!“ Buahhhhh!!!!!!!

Nun denn, ich habe mich dennoch von ganzem Herzen über jeden neuen Follower gefreut.

Likes liken und eigene Kommentare auf anderen Seiten hinterlassen, damit die Menschen auf mein Geschäft aufmerksam werden, gehörte nun zu meinem Tagesgeschäft. Irgendwie fand ich das zwar albern, habe es aber trotzdem getan. Die Social Media Expertinnen haben gesagt, man macht das so. Und manchmal entstanden daraus ja auch tatsächlich sehr nette Unterhaltungen.

Dann aber kam der 1. Januar 2021 und die finale Umsetzungsphase des Brexit wurde eingeläutet. Plötzlich gab es eine echte Grenze. Es gab Zoll, Zollbestimmungen, Unklarheiten, ganze neue Verwaltungsaufgaben, Nummern, die man beantragen musste, und vieles mehr.

Brexit – gosh – wie ich dieses Wort hasse.

Als wir 2013 aus England aufgebrochen waren hatten wir keine Ahnung, was in den nächsten Jahren zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU geschehen würde. Wir dachten, wir würden für ein paar Jahre nach Deutschland kommen und dann wieder zurückziehen. Als 2016 das Referendum zum Austritt aus der EU angekündigt wurde dachten wir, das Ganze sei der verzweifelte Versuch eines einzelnen Politikers (na ja, vielleicht auch einer einzelnen Partei), für die nächste Wahl die Stimmen einiger EU-Hasser abzugreifen. Wir dachten, es gäbe nun ein wenig Trara und Haha, und dann wäre der Spuk wieder vorbei. Doch wie wir nun alle wissen, hatten wir sowas von falsch gedacht.

Nun sitzen wir hier, im Schlamassel des ausgehenden Jahres 2021. Fünf Jahre Brexit-Blödsinn liegen hinter uns; David Cameron ging, Theresa May kam und ging, Boris Johnson kam und ging leider noch nicht. Wenn ich nun in das Vereinigte Königreich – meine alte Heimat – einreisen möchte, muss ich an einen anderen Schalter gehen als der Rest meiner Familie (in der alle außer mir die doppelte Staatsbürgerschaft haben); Päckchen und Pakete an unsere Family & Friends sind fast doppelt so teuer, wie sie es noch im letzten Jahr waren; ich weiß nicht, ob ich jemals wieder in meinem eigenen Haus, das im Norden Englands noch immer auf uns wartet, wohnen darf; und ich habe schlicht und ergreifend genug von diesem nervenaufreibenden und herzzerreißenden Mist.

Tatsächlich habe ich den Shop schon seit Anfang dieses Jahres nur noch auf einer absoluten Sparflamme betrieben und das (Social Media) Marketing komplett eingestellt. Der Brexit war hierfür sicherlich die Hauptursache, doch es gab auch andere Gründe (nein – Covid hatte damit nichts zu tun!), über die ich zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht berichten werde. Nun leite ich die endgültige Schlussphase ein. Ende November wird Lovely British Somethings – zumindest der online-shop – in die Welt der „Es war einmal“-Geschichten entlassen und ich breche auf zu neuen Ufern. Bis dahin werde ich ein kleines „Tagebuch des Abschieds“ schreiben und die, die Lust dazu haben auf dieser kleinen Lebensabschnittsreise ein Stückchen mitnehmen. Es wird also nochmal ein wenig lebendiger hier, ehe Lovely British Somethings endgültig verstummt J

Also: Hier noch einmal ganz im Sinne der lustigsten Social Media Regel: Lovely British Somethings macht dicht. Hast du auch schon mal einen Laden geschlossen? Lass mir doch einfach mal einen Kommentar da, wenn du ebenfalls findest, das Brexit ganz großer Mist ist und das britische Lebensgefühl dich trotzdem nicht loslässt 😉


Quatsch. Mach einfach das, wozu du Lust hast. Follow your dreams, steh auf, wenn du Schalker bist, lach dir nen Ast und setz dich druff, go with the flow, träume in den Tag hinein, gehe zur Arbeit oder kümmere dich um deine Kinder, kündige, verkaufe Eier von deinen eigenen Hühnern, oder schreib ein Tagebuch für den Rest der Welt J

Und wenn das alles nicht passt: Just keep going. Es wird schon werden!

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