Die Legende von dem Roten Drachen
Irgendwann im 5. oder 6. Jahrhundert, als die Römer Britannien gerade verlassen hatten, lebte ein keltischer Häuptling namens Vortigern auf der britischen Insel.
Er kam aus dem Norden Albions, dem heutigen England, wo er regelmäßig mit seinen Männern gegen die aus Caledonien (Schottland) einfallenden Pikten zu kämpfen hatte. Es waren harte Kämpfe und die kriegerischen Pikten rückten immer weiter nach Süden vor. Als bereits viele von Vortigerns Männern im Kampf gefallen waren, kam dem Häuptling eines Tages die Idee, seine Handelspartner aus Nordgermanien – Menschen von den Völkern der Angeln und Sachsen – um Hilfe im Kampf gegen seine Feinde aus dem Norden bitten.
Tatsächlich stieß sein Anliegen auf offene Ohren. Die Angeln und Sachsen nahmen seine Einladung an und in kürzester Zeit kamen erst Hunderte, dann Tausende von Ihnen nach Britannien. Stärker als die Pikten, drängten sie die Feinde Vortigerns in die nördlichsten Regionen der Insel zurück.
Die Angel-Sachsen übernehmen das Land
Während Vortigern erwartet hatte, dass die Germanen nach dem erfolgreichen Kampf in ihre Heimatländer zurückkehren würden, hatten diese inzwischen andere Vorstellungen. Das schöne und fruchtbare Land gefiel ihnen gut und viele von ihnen ließen sich in Britannien nieder. Sie besetzten die Insel, plünderten und überrollten die Dörfer und vertrieben die Kelten von ihren Höfen.
Als Vortigern merkte, dass er wenig gegen die Eindringlinge ausrichten konnte, ließ er sein altes Reich zurück und floh gen Westen in das Land der Brythonen (heute Wales). An dem Berg Dinas Emrys hielt er an. Hier, so beschloss er, wollte er sich niederlassen.
Mit Karren, Hacken und Steinen begannen Vortigerns Männer mit dem beschwerlichen Bau einer Burg, doch jeden Morgen lag die Arbeit des Vortags zerstört am Boden. Von den wunderlichen Ereignissen überwältigt, suchte Vortigern Rat bei den Magiern und weisen Männern der Region.
Das Land verlangt ein Opfer
„Das Land verlangt ein Opfer!“ wiesen diese Vortigern an. „Ein Opfer in Form eines Jungen, dessen Vater aus einer anderen Welt stammt.“
Nach langen Suchen wurde schließlich ein Kind gefunden, auf das die Beschreibung passte. Sein Name war Merlin.
„Stopp,“ rief Merlin, als die Männer auf ihn zukamen, „der Grund für die nächtliche Zerstörung eurer Burg sind zwei Drachen, die hier tief unter der Erde in einem See leben.“ Vortigern war von dem kraftvollen Auftritt des Jungen beeindruckt und befahl seinen Männern, nach den Drachen zu graben.
Als sie bereits viele Meter in die Tiefe vorgedrungen waren, drang plötzlich ein markerschütterndes Gebrüll durch die Luft. Kurz darauf bäumten sich ein roter und einen weißer vor den Kelten auf. Der kleine Merlin hatte Recht gehabt.
Von der Last der Erde befreit, gingen sie mit gefletschten Zähnen aufeinander los. Mit einem jähen Sprung nach vorn, riß der rote Drache eine tiefe Wunde in die Haut seines weißen Gegners. Dieser bäumte sich unter lautem Gebrüll auf und erhob sich in die Luft. Als er einige Meter an Höhe gewonnen hatte, spie er einen glühenden Feuerstrahl hinab und verkohlte die Haut seines Feindes. Dieser flog dem Angreifer hinterher und der Kampf ging in den Lüften weiter.
Den Männern, die das Geschehen vom Boden aus verfolgten, stockte der Atem. Vor Angst erstarrt sahen sie, wie plötzlich der weiße Drache nur wenige Meter von ihnen entfernt zu Boden fiel und auf dem felsigen Gestein aufschlug. Dann herrschte Totenstille.
Minute um Minute, in denen das Ungeheuer regungslos vor ihnen lag, verging.
Plötzlich – als alle überzeugt waren, dass der weisse Drache seinen Verletzungen erlegen war – sprang das Monster wieder auf. Es fauchte sie an und wandte sich dann in Richtung seines Feindes. Aus den Nüstern des roten Drachen quoll Rauch hervor und seine Augen funkelten gefährlich.
Der weiße Drache senkte seinen Kopf und verharrte einen Moment in dieser Position. Dann schwang er sich erneut in die Luft. Von oben blickte er den roten Drachen ein letztes Mal mit feurigen Augen an. Kurz darauf drehte er um und flog in Richtung Osten davon.
Der rote Drache hatte gesiegt und der Bau der Burg konnte fortgesetzt werden.
Die Bedeutung der Legende von dem Roten Drachen aus Wales
Einigen Überlieferungen zufolge, soll Merlin (ja, derselbe Merlin, der später auf König Arthus traf) Vortigern nach dem Kampf erklärt haben, dass der rote Drachen für die keltischen Brythonen gekämpft hat. Sein Gegner, der weiße Drache, stand auf der Seite der angel-sächsischen Eindringlinge.
Nur zu gerne wird Vortigern diese Geschichte geglaubt und unter seinen Leuten verbreitet haben. Und nur zu gerne erzählen sich die Waliser – von denen viele noch immer keltische Wurzeln haben – diese Geschichte bis heute.
Die Geschichte von Vortigern und den Drachen wurde erstmals um 830 in der Legendensammlung „Historia Brittonum“ festgehalten. Über 600 Jahre später zog Henry Tudor, der durch seinen Vater selbst halber Waliser war, in den Krieg gegen König Richard III. Als Zeichen seiner Herkunft trug er eine grün-weiße Flagge mit einem roten Drachen mit sich.
In der Schlacht von Bosworth (1485) besiegte Henry seinen Feind und stieg damit zum ersten, walisisch-stämmigen König Englands empor.
Royal Standard von Henry VII. (by Sodacan)
Mit seiner Machtübernahme begründete Henry das Haus der Tudors, die England bis zum Tod von Elisabeth I. (1603) regierten. Erst 1959 wurde die weiß-grüne Flagge mit dem roten Drachen jedoch offizielle Nationalflagge von Wales!
Den Welsh Dragon findest du übrigens auch auf unseren Bienenwachstüchern, die eine tolle, umweltfreundliche Alternative zur Frischhaltefolie sind und in Handarbeit auf Anglesey, einer kleinen Insel im Nord-Westen von Wales, hergestellt werden.
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